Beginnen wir an einem zentralen Punkt des Kulturjahrs 2020, nämlich bei der Frage, wie Menschen in urbanen Ballungszentren wie Graz leben wollen. „Müllfrei“, sagt der gelernte Raumplaner Walter Felber, der als „letzter lebender Kaffeehauszeichner“ vielen Kulturinteressierten in der Stadt ein Begriff ist. Ein Leben ohne Abfall, genauer ohne Restmüll, ist das Ziel, das Felber mit seinem Kompagnon Wolfgang Eder seit Jahren verfolgt. Ohne Rücksicht auf mögliche Widerstände, ohne Scheu, bei Behörden oder Lobbys anzuecken. Ihr Projekt, das auf wissenschaftlichen Erkenntnissen sowie auf jahrelangen Experimenten nach dem Prinzip „Versuch & Irrtum“ beruht, behandelt tatsächlich eines der großen Probleme des Lebens in der Stadt: „Wohin mit dem Restmüll aus der grauen Tonne, der noch immer 40 % des Grazer Müllgewichts ausmacht?“
Um zur Lösung beizutragen, gründen der Biologe Eder und der Umwelttechniker Felber die „ARGE F&E Phytoremediation“. Schon mehr als 20 Jahre beschäftigen sich beide mit Recycling und Verwertung des Restmülls aus Haushalten. Ein großer Teil davon sind „erdenähnliche Substanzen“ – Staub, Feinkorn, Rotteprodukte und dergleichen. Mit der Methode der beiden werden diese Stoffe mehrfach bis zu 2–3 Millimeter Korngröße gesiebt und als doppelte Schwermetallbremse in speziellen Konstruktionen auf einer freien Wurzelpolsterfläche aus kühlem Kompost aufgebracht. Das dichte Wurzelgeflecht lagert Schadstoffe und insbesondere die zehn für den Menschen gefährlichsten Schwermetalle ein.
Dabei spielt die Größe des Territoriums eine untergeordnete Rolle, selbst für einen einzelnen Haushalt würde sich die Methode bereits auszahlen, betont Walter Felber. Wichtig sind ausreichende Feuchtigkeit, Schatten und genügend Wurzeln. Überraschung: Nach fünf bis sechs Jahren hat das Material die Kompostgüte-Qualitätsstufe A+ erreicht. Felber pointiert: „Wir haben das Abfallregime verlassen und sind im Kompostregime angekommen.“ Die gröberen ausgeschiedenen Rückstände sind die leicht separierbaren und unmittelbar verwertbaren Kunststoffe sowie Wertstoffe. Nur mehr ein Viertel des ursprünglichen Restmüllgewichts verbleibt als „Junk“. 2021 gibt es dazu einen weiteren Verwertungsversuch.
Am Land ist mehr Platz So einfach, wie es hier klingt, läuft die Sache für die ambitionierte ARGE aber nicht. Eine Tatsache ist, dass es in der Stadt nur mehr wenige freie Flächen gibt, auf denen man in größerem Maßstab Versuche starten könnte. Und dann sind da Kräfte in Industrie, Wirtschaft, Politik und Verwaltung, die nicht zu unterschätzen sind. Stichwort: „Das haben wir schon immer so gemacht“.
Eder und Felber schreckt das nicht ab. 2013 beginnen sie mit einem konkreten 5-Jahres-Projekt, um die Methode zu perfektionieren. Sie verhandeln mit Stadt- und Gemeindeverwaltungen sowie mit Privaten und überzeugen den einen oder anderen Verantwortlichen im Umland von Graz. Rund ein Dutzend Punkte rund um die Landeshauptstadt haben die beiden auf einer Landkarte markiert. Aus Restmüll wird tatsächlich Kompost. Und in Graz?
Das Kulturjahr hat dem Vorhaben einigen Rückenwind verliehen. Vor allem die Breitenwirksamkeit schätzen Eder und Felber sehr. Was ihnen noch wichtig ist: Dass die Wissenschaft im Programm ihren Raum bekommt. Apropos Raum: Der Standort Maggstraße wäre ideal und so firmiert diese Adresse auch in den Unterlagen als städtisches Versuchsgelände „Wissenschaftspark Phytoremediation“.
Derzeit gilt allerdings das österreichische Motto: Nix ist fix. Aber wer weiß, vielleicht setzen sich die beiden durch. Und wenn nicht, dann warten private Haushalte, Gewerbebetriebe, Wohnbauträger. Sie alle könnten die Umwandlung von Restabfall in wertvolle neue Böden für Pflanzen nutzen. Wer so wie die beiden „müllfrei“ leben will, kann den Mann mit der markanten Kopfbedeckung in Graz auch gerne auf der Straße ansprechen. Er ist viel unterwegs und zieht rasch den einen oder anderen Plan, Fotos und Skizzen aus seiner Tasche.