„Der Wald erinnert an Hänsel und Gretel und somit an familiäre Gewalt, an die Einsamkeit, an absurde Begegnungen – aber auch an gute Feen. Er macht Angst und dennoch ist er zugleich ein Ort der Transformation und der Magie.“
Der Wald, den uniT im Rahmen des Dramatiker*innenfestivals Graz zu Wort kommen lässt, erzählt von Menschen, die sich im Stadtraum bewegen. Menschen, die man vielleicht im Alltag gar nicht so recht wahrnimmt. Er berichtet von Rettung und Polizei, vom Gewaltschutzzentrum, von Pizzabot*innen und von einem Mann, der sein gesamtes soziales Leben über das Internet gestaltet, in Hunderten Chats. Wenn man genauer hinhört, erzählt der Wald auch von Isolation, von Hilflosigkeit, von subtiler und offener Gewalt.
Nach einer Idee des KUNSTLABORS Graz machen sich fünf Autor*innen daran, Geschichten zu sammeln. Natascha Gangl, Johannes Hoffmann, Christiane Kalss, Anna Morawetz und Claudia Tondl suchen sich je eine Einrichtung, die sie für besonders interessant erachten. Unterstützt werden sie von Edith Draxl, die für die künstlerische Leitung und die Dramaturgie verantwortlich ist. Mit zwei Institutionen, der Polizei und dem Gewaltschutzzentrum, wird besonders intensiv zusammengearbeitet. Natascha Gangl und Claudia Tondl führen Interviews, es gibt Schreibworkshops für Mitarbeiter*innen beider Einrichtungen. Die anderen drei Autor*innen betreiben ihre Recherchen selbsttätig mithilfe persönlicher Kontakte. Am Ende werden die Texte von Regisseurin Sandra Schüddekopf zu einem Ganzen verdichtet. Und im Juni 2021 kommt es zu fünf Aufführungsabenden im Meranpark der Kunstuni Graz. Pandemiebedingt, erzählt Madeleine Lissy, Teamleiterin des KUNSTLABORS Graz von uniT, muss der Wald ein Jahr lang auf seinen Einsatz warten. Dann freilich kann das Programm wie geplant stattfinden, wenn auch unter geänderten Rahmenbedingungen. Es gab auch Gastspiele in Murau (Griessnerstadl) und in Sicheldorf (Galerie undso).
Das Dramatiker*innenfestival Graz, bei dem der Wald seine Premiere erlebt, stellt seit 2017 alljährlich Autor*innen, Theatermacher*innen und anderen Künstler*innen zentrale Fragen über das Leben, das Reden und Schreiben, die menschliche Gesellschaft. 2021 steht folgendes Thema im Fokus: „Welche Geschichten brauchen wir auf dem Weg ins ÜBERMORGEN und wie kommen wir dort hin?“ Die Geschichten über den Wald fügen sich fast nahtlos in das Schaffen ihres Teams ein, sagt Lissy. „uniT schöpft aus einem Pool von jungen Autor*innen. Das KUNSTLABOR arbeitet seit mindestens eineinhalb Jahrzehnten mit verschiedenen Zielgruppen aus dem sozialen Bereich. Wir wollten daher für das Kulturjahr verschiedene Einrichtungen mit der Frage konfrontieren, wo sie der Schuh drückt, was man ihrer Ansicht nach ändern müsste. Der partizipative Zugang ist dabei sehr wichtig.“
Es riecht nach Gras Und wo drückt der Schuh? In den fünf Texten klar erkennbar findet sich das Thema der Einsamkeit, im Privatleben wie am Arbeitsplatz. Nicht nur in Graz, sondern in vielen Städten. „Wir wissen, dass etwa in den Niederlanden große Summen zur Verfügung stehen, um dieses Problem anzugehen“, berichtet Madeleine Lissy. Sie hat viele Jahre in der Sozialpsychiatrie gearbeitet und kennt Ängste und Sorgen der Menschen, die etwa am kulturellen Leben in der Stadt nicht teilnehmen können. Bei einem aktuellen Projekt in Eggenberg wird Lissy auch damit konfrontiert, dass zwar ein starker Bauboom herrscht, aber sich viele diese Wohnungen nicht leisten können. „Ein anderes, oft ausgeblendetes Thema ist der Alkohol samt seinen Auswirkungen wie Gewalt und Lärm. Und sehr beeindruckt hat mich auch der Bericht eines jungen Polizisten, der erzählt hat, er hätte nicht einmal einen eigenen Sessel am Arbeitsplatz und säße in der Früh regelmäßig in einer Wolke aus Cannabisgeruch. Beschlagnahmte Ware aus den Parks dieser Stadt.“