Marino Formenti

TRIESTERSTRASSE 66

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„Musik ist eine Beziehung“

Wie kommt ein international erfolgreicher Pianist, der aus Italien stammt und schon seit dreißig Jahren in Wien lebt, in die Triestersiedlung nach Graz?

Marino Formenti ist für ungewöhnliche Auftritte bekannt, sorgte er doch unter anderem mit seinen „One to One Performances“ für intensive Momente außerhalb von klassischen Konzertsälen. Auf die große Siedlung in Gries macht ihn der Grazer Künstler Martin Behr aufmerksam, der dort aufgewachsen ist und immer wieder Projekte in der Umgebung realisiert. Die Idee: Formenti wohnt einige Wochen in der Triester Straße, musiziert mit Bewohner*innen, nimmt mehr oder minder rund um die Uhr an ihrem Leben teil. „Musik ist kein Objekt, sie ist eine Beziehung, das ist meine Philosophie“, sagt der Pianist.

In Kooperation mit dem Stadtteilzentrum und dessen unermüdlicher Leiterin Elisabeth Hufnagl wurde ein Bewohner gefunden, bei dem Marino Formenti im Juni 2021 für fast vier Wochen lebte, neue Spiele kennenlernte, aß und trank – und natürlich musizierte. Lehrreich war für den Künstler dabei nicht nur das Überschreiten von Genregrenzen bis hin zu Songs von ABBA, sondern vor allem die Interaktion mit sehr unterschiedlichen Menschen. „Eine Sache, die mich überrascht, vielleicht sogar erschreckt hat: dass es in Österreich immer noch solche sozialen Schicksale gibt. Leute, die eine Kindheit gehabt haben, wie wir sie eigentlich nur aus Filmen von Michael Haneke kennen. Dadurch, dass ich eng mit dem Stadteilzentrum gearbeitet habe, traf ich vielleicht eher Menschen, die größere Sorgen und Probleme haben als andere in der Siedlung. Es gibt auch gut Situierte dort, die ihre Kinder auf die Uni schicken.“ Formenti reflektiert dabei auch seine eigene Rolle. Er befinde sich in einer „performativen Box“, sei offen für Begegnungen, erlaube es sich beispielsweise nicht, genervt zu sein.

Eine mittelgroße Stadt wie Graz ermögliche besonders intensive künstlerische Experimente, resümiert der Musiker. Immerhin hat er schon 2010 im Steirischen Herbst mit der Performance „Nowhere“ entsprechende Erfahrungen gemacht, als er acht Tage in der Öffentlichkeit – konkret im Grazer Stadtmuseum – lebte, spielte und sogar schlief. „Die Musik ist eine Praxis, sie kann verbinden. Im Kunstbereich trennt sie aber auch oft. In einem Klangkörper zeigt sich dann ein richtiger Krieg. Zwischen erster Geige und den anderen, zwischen Pianist und Stimmer. Es geht immer um Macht. Der Persönlichkeitskult ist das Kunstfeindlichste, das es gibt.“

Überraschung!
Dann lieber hinaus zu den Menschen, die Musik in ihrem Alltag fernab der Hochkultur erleben. Eine Erkenntnis, die Formenti im Laufe der Jahre gewonnen hat: „Jeder künstlerische Akt, und sei es, dass du allein für dich Beethoven-Sonaten spielst, wird anders, als du es dir zuvor gedacht hast. Sonst wäre es ja auch fad. Bei Projekten mit anderen Menschen, gerade mit Laien, ist der Überraschungsfaktor natürlich noch größer. Ich muss dabei als Künstler versuchen, mich nicht zu sehr anzupassen, etwas zu lernen, aber auch etwas zu geben.“

In der Triestersiedlung war es ihm daher wichtig, nicht für Menschen Musik zu machen, sondern mit Menschen. Die Umstände der Pandemie haben zwar die Partizipation in quantitativer Hinsicht etwas reduziert, aber dafür hatte Formenti mehr Zeit für Interessierte. Anfang Juli gab es dann ein abschließendes Fest in der Siedlung. Mit klassischer und afrikanischer Musik, mit Sounds vom Balkan, mit Country, Musik der Roma, tibetanischen und zeitgenössischen Einflüssen. An eine Fortführung ist gedacht. „Elisabeth Hufnagl und ich wollen nicht, dass das alles am Ende wie eine Seifenblase zerplatzt. Das soll aber nicht auf mich konzentriert sein, es geht uns ums Musizieren, auch um musikalischen Unterricht“, sagt der Pianist.

(c) Daniel Kindler
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