Es ist ein buntes und vielfältiges Bild, das sich an einem Samstag Mitte September 2021 quer durch die Grazer Triestersiedlung bietet. Vor allem ist es ein Bild ohne Autos. Denn die Straße „Auf der Tändelwiese“ gehört an diesem Tag exklusiv den Menschen und ihrer Kultur – besser gesagt: ihren Kulturen. Der Raum vor, hinter und zwischen den Gemeindebauten wird mit Aktionen und Interaktionen von Bewohner*innen und Künstler*innen bespielt. Es gibt Workshops, einen Flohmarkt, Konzerte, Performances und künstlerische Interventionen.
So bearbeiten Martin Behr und Martin Osterider eine Litfaßsäule, ein Turm für Rettungsschwimmer*innen von Alexandra Gschiel, Eva Ursprung und Markus Wilfling bewacht den Verkehr auf der Triester Straße. Joachim Hainzl spricht an einer langen Tafel mit Bewohner*innen über die Vergangenheit und ihre Vorstellungen von der Zukunft. Eine Radrikscha kutschiert Besucher*innen durch die Straße, KiG! transportiert Pflanzen, Transition Graz, die angrenzenden Lokale und viele Stände versorgen die Besucher*innen mit Informationen, Speis und Trank. Piñatas von Anneliese Scherz werden zerschlagen, es wird musiziert und getanzt. Mario Schoberlechner und die Volksschule Triester berichten für Radio Helsinki. Eine Modenschau von Alexandra Gschiel zeigt Modelle, die an die Straßennamen, Orte und Architekturen des Viertels angelehnt sind. Die afrikanische Freikirche House of Prayer Mission ist mit ihrem Chor und einer Fashion-Show mit dabei. Der kunstGarten tritt musikalisch und literarisch in Erscheinung und das Theater InterACT spielt mit den Bewohner*innen Szenen aus ihrem Leben. Zum Finale präsentiert Schauspieler Gregor Seberg sein Kabarettprogramm „Wunderboi“, danach sorgt Mama Feelgood an den Turntables für den musikalischen Ausklang – beide stammen aus der Triestersiedlung.
Eigentlich wollten die Initiatorinnen Elisabeth Hufnagl und Eva Ursprung das Fest direkt auf der viel befahrenen Triester Straße feiern, doch mit diesem Gedanken beißt sie zumindest bei einer politischen Partei auf Granit. „Früher gab es hier das ,Schwammerlbad‘, erzählt Ursprung über die Ausgangsidee, „da konnte man kostenlos plantschen“. Die Kinder aus den Wohnbauten sind über die Straße ins Bad gelaufen. Ich wollte aufzeigen, dass die Straße im Unterschied zu damals heute wie eine Barriere wirkt, die Siedlungen trennt.“ Und sie weist darauf hin, dass das Viertel politisch sehr heterogen ist, verschiedene Nationalitäten und Kulturen miteinander konfrontiert sind, die Infrastruktur aber kaum Möglichkeiten für Begegnung und gemeinsame Aktivitäten bietet.
Platz für Menschen Weil die Straße – wie der Name schon sagt – bis nach Triest führt, gibt es ein Hafenfest, welches so viele Menschen wie möglich verbinden soll. „Uns ist wichtig“, sagt Eva Ursprung, „dass das Programm aus der Siedlung entsteht und nicht von außen etwas draufgesetzt wird. Das braucht viele Vorarbeiten und viel Kommunikation.“ Die Leiterin des Vereins Schaumbad ist dankbar für die breite Unterstützung durch die hier verorteten Initiativen, Lokale und Menschen. Das Programm wurde gemeinsam mit Elisabeth Hufnagl vom Stadtteilzentrum Triester erarbeitet: „Sie ist immer mein Draht zu den Bewohner*innen. Sie hat auch den Flohmarkt organisiert, der so gut angekommen ist, dass er auf Wunsch der Bewohner*innen im kommenden Jahr weitergeführt wird.“
Ihr Vorhaben sieht Eva Ursprung als teilweise erreicht an. Die Menschen seien zum Nachdenken über die Zukunft gebracht worden. Und vielleicht bildet sich tatsächlich die eine oder andere Initiative aus dem Viertel selbst. Andererseits merkt sie kritisch an: „Unser Hauptziel war: mehr Platz für Menschen, weniger Platz für Autos. Das haben wir natürlich nicht erreicht. Aber ich freue mich über jeden kleinen Schritt in Richtung Verbesserung der Lebensqualität.“
Und wie stellt sich die Künstlerin selbst die Zukunft vor? „Mit mehr öffentlichem Raum, der nicht kommerzialisiert ist, mit mehr Begegnungsräumen. Graz sollte sich wieder öffnen. Der Platz für Menschen macht eine Stadt spannend.“