Josef Riedl und Julia Gratzer

HÄFNTHEATER

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Literatur hinter Gittern

„Begonnen hat alles mit Judas, dem Verräter. In unserem Fall: ein 1-Personen-Stück vom Schauspielhaus Graz, das in Kirchen aufgeführt wird. Es hat mich gereizt, das in der Karlau zu zeigen. Seitdem gibt es einen losen Kontakt, wir waren auch schon mit einer Gruppe von Insassen bei einer Art Privatvorstellung.“

Josef Riedl, von dem diese Aussage stammt, ist seit zwei Jahrzehnten Gefangenenseelsorger in den Justizanstalten Karlau und Jakomini. Julia Gratzer ist studierte Soziologin, Sozialtherapeutin und Theaterpädagogin am Schauspielhaus Graz. Gemeinsam planen sie im Rahmen des Kulturjahres 2020 einen Theaterworkshop mit Insassen der Karlau. Am Ende sollen zwei halböffentliche Aufführungen stehen. Durch die Begleitumstände der Pandemie wird das Vorhaben deutlich verändert, was auch Vorteile mit sich bringt.

Ausgangspunkt für die Arbeit ist ein Klassiker: „Der böse Geist Lumpazivagabundus oder Das liederliche Kleeblatt“ von Johann Nepomuk Nestroy. Die Insassen, zuerst sind es zehn, im Lauf der Zeit durch Verlegungen dann acht, setzen sich mit dem Stück auseinander und erarbeiten eigene Texte dazu. Die Zusammenarbeit mit Julia Gratzer kann durch den Lockdown nur mit Videokonferenzen erfolgen. „Für mich war es sehr interessant zu sehen, wie eine Theaterpädagogin einzelne Themen aus dem Stück herausholt und mit den Männern erarbeitet“, erzählt Josef Riedl, „wie die Bereitschaft zur Reflexion immer mehr steigt.“ Und er zitiert einen Insassen, der meint: „Gelesen hätte ich das Stück nie. Aber es war spannend, es in der Gruppe kennenzulernen und am Ende zu wissen, was drinnensteht. Ich habe gemerkt, ich bin ein Teamplayer. Beim Fußball, aber auch beim Theater.“

Aus den geplanten Aufführungen wird ein Hörspiel, das mit verschiedenen Stationen als Audiowalk ab 7. Oktober 2021 zu hören ist – bei einem Rundgang um die Justizanstalt Karlau von etwa einem Kilometer entlang der Gefängnismauern. „Ich bin überzeugt, die Wirkung wird so größer sein als ursprünglich gedacht“, sagt Josef Riedl, „das Publikum wird breiter und es wird nachhaltiger.“

Katzen im Knast

Die Verbindung von Sprache und Literatur und dem Gefängnis ist eine enge, wie der Seelsorger betont. Nicht nur, dass in der Geschichte immer wieder Autorinnen und Autoren in Haft kamen, es wird hinter den Mauern auch viel geschrieben. Briefe nach draußen natürlich, aber auch Lebensgeschichten. So ist auch der eine oder andere Text für dieses Projekt von erstaunlicher Qualität, sagt Riedl.

Um näher auf das Kulturjahr und sein Motto einzugehen: Wie möchten denn die Insassen der Karlau ihr Leben verbringen? „Die meisten wollen sicher nicht so leben“, meint der Seelsorger. „Das ist das, was die Justiz als ‚Strafübel‘ bezeichnet. Es ist eine bewusste Strafe, auch wenn das oft verneint wird. Wie wollen sie leben? Mit mehr persönlichen Möglichkeiten. Zum Beispiel: ein Haustier halten zu können. Leider sind bis auf ein paar Katzen in der Gärtnerei die Tiere in der Justizanstalt weitgehend ausgestorben. Früher gab es Ratten, Kanarienvögel, es gab Aquarien. Aber das ist nur ein kleines Beispiel. Manche Anstaltsleiter sagen ganz klar, dass 80 % der Insassen keine versperrte Tür bräuchten, sie akzeptieren die Haft. Die Maßnahmen macht man eigentlich nur für die anderen 20 %. Dasselbe gilt für Mobiltelefone und das Internet. Für die meisten wären sie für persönliche Kontakte wichtig. Einige nutzen es für kriminelle Dinge. Und deswegen ist es für alle verboten.“

Und Josef Riedl selbst? Er wünscht sich mehr zwischenmenschliche Begegnungen drinnen wie draußen. „Man wird Wege finden müssen, den Umgang miteinander wieder zu forcieren. Selbst ich, der ich seit 30 Jahren am Stadtrand wohne, kenne meine Nachbarinnen und Nachbarn kaum. Wir leben in unterschiedlichen Welten. Der Aufspaltung der Gesellschaft in Blasen müssen wir etwas entgegensetzen. Gerade eine Stadt wie Graz kann hier leichter vorankommen als eine Großstadt wie Wien.“      

(c) Julia Gratzer
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Das Kulturjahr 2020 wurde unterstützt von: