„Veränderung ist unvermeidlich. Alle Dinge müssen sich ändern. Wir wollen uns der Veränderungen bewusst sein, um sie positiv zu erleben. Wir wollen mitreden oder etwas tun, damit der nächste Moment besser wird, und mit diesem Schwung gibt es eher Schönheit als Verfall. Danke, dass ihr den Stimmlosen eine Stimme gegeben habt. Einige von uns im Projekt sind neu in Graz, in diesem Land und andere denken vielleicht: ‚Oh, was haben Sie zu sagen, Sie sind nur Immigrant*innen‘, aber bei Projekten wie diesem werden wir gehört, angehört, kann man unsere Fürsorge und Einsichten sehen.“
Allison Geissler, von der dieses Zitat stammt, ist im Kulturjahr eine Teilnehmerin im Living Lab. Das Labor wird von einem Team des Instituts für Erziehungs- und Bildungswissenschaft rund um Annette Sprung, Brigitte Kukovetz und Petra Wlasak entwickelt. Das Projekt setzt, wie der Name schon verrät, auf eine aktive Bürger*innenschaft und untersucht Möglichkeiten für das Zusammenleben einer zunehmend diversen Bevölkerung. Der Fokus: politisches Lernen durch Partizipation. Parallel zu wissenschaftlichen Fragestellungen findet ein künstlerischer Prozess statt. Kooperationspartner sind das Frauenservice und der Verein XENOS, über diesen sind die Künstlerinnen Maryam Mohammadi und Kate Howlett-Jones eingebunden.
Wie kommt es zur konkreten Umsetzung im Grazer Bezirk Lend? „Dieser Stadtteil ist sehr divers, das sieht man an der Bevölkerungsstruktur. Es ist ein zentraler Bezirk und wir hatten mit dem Frauenservice eine Partnerorganisation vor Ort“, erzählt Brigitte Kukovetz. Die Frauen, die am Projekt und den entsprechenden Workshops teilnehmen, werden in Kooperation mit dem Infocafé palaver am Lendplatz angesprochen. Die Gruppe ist möglichst heterogen zusammengesetzt, sowohl was das Alter, die Herkunft, das bisherige Engagement im Bezirk betrifft. Dreizehn Frauen erkunden die Umgebung rund um den Lendplatz mit den Mitteln der Fotografie. Ziel ist es dabei auch, Elemente zu finden, die verändert werden sollen. So entsteht unter der Leitung von Maryam Mohammadi und Kate Howlett-Jones eine Ausstellung mit dem Titel „Active Urban Citizenship: Was wäre, wenn …?“, die in Schaufenstern von Lokalen und Geschäften im Lend zu sehen ist. Die Bilder zeigen Utopien und Möglichkeitsräume für das Zusammenleben in der Stadt.
Verantwortung und Kritik
„Durch den Beteiligungsprozess im Living Lab hat sich ein Verantwortungsgefühl für den Stadtteil entwickelt“, sagt Brigitte Kukovetz, „das Lab bietet schließlich die Möglichkeit, Kritik zu üben, die wahrgenommen wird. Das verleiht Empowerment auch für die Frauen, die in den politischen Diskurs bisher nicht eingebunden waren. Durch aktive Partizipation kommt es zu einem Bildungsprozess, den wir uns genau angesehen haben. Mit künstlerischen Methoden kommt es zu einem Ausgleich von vorhandenen gesellschaftlichen Machtdifferenzen in der Gruppe, das konnten wir im Lab zeigen. Alle Stimmen wurden gehört, wobei die Moderation eine wichtige Rolle spielte.“ Allerdings: Durch die Begleitumstände der Pandemie müssen Veranstaltungen in den digitalen Raum transferiert werden. Das schließt manche aus, sprachliche und technische Barrieren machen sich bemerkbar.
Was wird von den Teilnehmerinnen kritisch gesehen? Kurz zusammengefasst: Umweltschutzaspekte, von zu viel Verkehr über fehlende Sauberkeit bis zu Beschattungen. Auch Sicherheitsaspekte für Frauen, fehlende oder mangelhafte Möglichkeiten des Austauschs, Fragen der Nutzung von Parks, Urban Gardening und Ähnliches werden im Lab thematisiert. Die Wissenschaftlerinnen am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft verfolgen die Entwicklung partizipativer Räume für eine vielstimmigere active citizenship in Graz weiter.