Dejan Marković

DIGITAL RECONFIGURATION: KARTOGRAPHIE DER UNSICHTBAREN

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Die rebellische Gesellschaft

Anfang September 2021 sorgen grell leuchtende Plakate in Graz für Aufsehen. In Frakturschrift steht „Arbeiterwille“ auf ihnen. Nicht wenige fragen sich, ob es etwas mit dem Gemeinderatswahlkampf zu tun haben könnte. Die Poster haben einen politischen Hintergrund, Teil einer Wahlkampagne sind sie aber nicht. Künstler Dejan Marković erinnert mit der Aktion vielmehr an die 1890 in Graz gegründete sozialdemokratische Zeitung „Arbeiterwille“. Sie wollte die Klasse der Arbeiter*innen durch Selbstorganisation und Ausbildung formen und stärken. Im Jahr 1934 wurde sie verboten.

Ausgehend von diesem historischen Medium untersucht und erweitert Marković im Rahmen von „Rebellious Books“ die Ausbildung der heutigen Arbeitenden durch die Bibliothek der Arbeiterkammer Steiermark. Welche „rebellischen Bücher“ sind noch in der Sammlung vorhanden, welche wären heute rebellisch? Dazu befragt er Grazer*innen und sammelt ihre Buchempfehlungen und Statements dazu. „Viele der Menschen, die ich darum gebeten habe, sind übrigens Mitglieder der Arbeiterkammer, manche ohne es zu wissen“, sagt Marković. Kooperationspartnerin von Marković ist die Künstlerin Bettina Landl.

Die Eröffnungsrede der Bibliothek wurde 1926 in der Zeitung „Arbeiterwille“ abgedruckt. Ein Satz daraus lautet: „Einst galt es als Hochverrat, rebellische Bücher zu lesen, der Aufstieg der Arbeiterschaft wäre ohne solche Bücher nicht möglich gewesen.“ Marković setzt diese Historie nun mit der Gegenwart in Bezug. Welche Kenntnisse benötigen die heutigen Arbeitenden, um bei den politischen, technologischen und klimatischen Änderungen progressiv und emanzipatorisch handeln zu können? Wie lässt sich eine Bewusstmachung über die gesellschaftlichen Strukturen und Mechanismen der Ausbeutung von Menschen und Natur ausbilden? Wie wirkt sich eine Marke wie „Silicon Alps“ mit großen Hightech-Unternehmen auf die Arbeitswelt aus? Was heißt „Flexibilisierung“ in der Industrie? Aber auch: Welche Bedeutung hat eine Bibliothek für die heutige Gesellschaft? Das Team der AK-Bibliothek, das Marković als sehr aufgeschlossen erlebt, ist eingeladen zu einer Selbstreflexion, zu einem kritischen Hinterfragen der Sammlung und zu eigenen Vorschlägen zur Erweiterung. Viele neue Bücher werden angeschafft, im ersten Schritt sind es drei Regale, die Marković dafür zur Verfügung gestellt werden.

Für seine „Kartographie der Unsichtbaren“ knüpft Dejan Marković über die Arbeiterkammer hinaus ein breites Netzwerk an Unterstützer*innen. Vom Shoppingcenter Citypark über die Kulturvermittlung Steiermark, den steirischen herbst ’21, den ÖGB, die Kulturlotsinnen, GLB Steiermark, das Arbeitsmarktservice, das Naturkundemuseum, Kunsthaus Graz, die Ortweinschule, das Institut für Zeitgenössische Kunst an der TU Graz bis zum Projektraum „Annenstr. 53“ und Arbeiter*innenvereinen. Nicht alles, was geplant ist, lässt sich realisieren, die Ausstellung „Arbeiterwille: An Impossible Movement“ im Citypark glücklicherweise schon.

Das Unsichtbare sichtbar machen

Im Erdgeschoss des Shoppingcenters präsentiert Marković eine Soundarbeit von Lain Iwakura, zwei Aquarellserien von Vladimir Miladinović, eine Wandzeichnung von Coline Robin, Video-Interviews und Lichtskulpturen. Coline Robin dokumentiert mit Mindmaps den Prozess der Gespräche und Verhandlungen während des Projekts und fertigt daraus ein großes Bild an. Die drei Lichtobjekte von Marković nehmen Bezug auf Symbole, die sich in den schlossartigen Firmenzentralen von zwei heimischen Hightech-Unternehmen finden lassen.

Dejan Marković sagt über seine Methode und seine Erkenntnisse: „Oft fange ich mit bestimmten Vorstellungen an, ich lasse aber zugleich viel Raum, damit sich das Projekt durch die Recherche entwickeln kann. Selten weiß ich am Anfang schon, was am Ende herauskommt, weil die Formen und die Sprache von den Ergebnissen abhängig sind. Mir geht es auch um das transformative Potenzial der Kunst, die provoziert, weil die Betrachter*innen nicht gewohnt sind, was sie bei mir zu sehen bekommen.“

© Johanna Lamprecht
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  • (c) Clara Wildberger

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