Wenn sich ein System im Gleichgewichtszustand befindet, nennt man dies Homöostase. Der Begriff wird in den Naturwissenschaften, in der Medizin, aber auch in der Soziologie verwendet. Und in der Kunst, denn Daniela Brasil und Nayarí Castillo setzen ihn ein, um für das Kulturjahr eine Reihe von Projekten zu verbinden. Es geht ihnen dabei um Orte des Zusammenseins, um Urbanität, um den Wissenstransfer zwischen Nord und Süd und um das Hinterfragen von Grenzen.
Das Bild, das sich bald für das Projekt manifestiert: ein Kreisverkehr am Rande von Graz, der mit seinen Schleifen eine 8 bildet. In der Mitte eingeschlossen liegt ein Wäldchen. Als Gegenstück: ein indigenes Dorf in Südamerika, das vom Wald umgeben ist. Für den Beginn planen Castillo und Brasil „Co-Creation-Workshops“ mit Künstler*innen. So werden in Kooperation mit dem Afro-Asiatischen Institut auch Menschen aus dem Amazonas-Regenwald eingeladen, die allerdings aufgrund der Pandemie nicht kommen können. Die übrigen Teilnehmer*innen, darunter etwa Peninah Lesorogol, eine Grazer Künstlerin, die aus dem Samburu-Volk in Kenia stammt, treffen sich im Frühjahr 2020 und dann auch 2021, um gemeinsam zu diskutieren und zu arbeiten. „Das Zusammensein ist für uns ein zentrales Element in allen Projekten“, sagt Nayarí Castillo, „dabei ist nicht nur das Schaffen von Werken wichtig, sondern auch die Forschung.“
Es entstehen erste Skulpturen. Das Video „Summen“, aufgenommen an der Bienenwiese am Autobahnrastplatz Lassnitzhöhe, dokumentiert eine „slow Performance“. Ein zweiter Film, „Trummen“, der im Steinbruch am Nordausgang der Stadt gedreht wurde, thematisiert den Widerstand von Körpern und von Wissen, die durch die Überschneidung von Kolonialismus und Kapitalismus zertrümmert wurden. Am Autobahnknoten in Raaba sind zwei Bilder von Antonio Briceño im Großformat zu sehen: „Kumañí – The great mother“ von Ana Rosa Pérez aus dem Pumé-Volk in Venezuela und „Botoqué – The Owner of Fire (Kupato)“ von den Kayapó aus Brasilien. An derselben Stelle findet sich „Philetairus socius or the Sociable Weaver“. Diese Installation aus Holz, Stahl, Draht und geflochtener Weide bildet ein außergewöhnliches Nest. Inspiriert ist das überdimensionale Werk von dem afrikanischen Vogel, der der Skulptur seinen Namen gibt und mit seinen Artgenossen kollektive Nester baut. Im Afro-Asiatischen Institut schließlich wird die Ausstellung „Entanglements“ von Juli bis Ende September 2021 gezeigt.
Das Leben der Bienen. Das Sterben der Vögel
Da Nayarí Castillo und Daniela Brasil sehr auf die Vernetzung achten, binden sie auch heimische Handwerkstraditionen und -techniken in ihr Projekt ein, etwa das Flechten von Körben. „Hier handelt es sich um uraltes, aber mittlerweile stark gefährdetes Wissen“, sagt Daniela Brasil, „das kann keine Maschine machen, in Österreich beherrschen es nur mehr wenige alte Menschen, sonst werden die geflochtenen Objekte im globalen Süden hergestellt, damit es leistbar ist. So etwas hat immer eine pragmatische, aber auch eine poetische und politische Ebene.“
Zu den Learnings aus dem Projekt zählen sie Einblicke in die Geschichte der Bürger*innenbeteiligung in Graz, speziell was den Grünraum angeht. Die beiden haben erfahren, welche Aktivitäten die Asfinag setzt, um Bienen das Leben am Rande der Autobahn zu erleichtern. Und sie mussten mit Schrecken sehen, wie im Institut für Biologie der Uni in der Schubertstraße eine Glasbrücke zur tödlichen Falle für Vögel wird. Diese anthropozentrische Struktur, die es den Menschen ermöglichen soll, die exotischen Pflanzen zu beobachten, befindet sich genau in der Flugbahn der Vögel in Richtung des Botanischen Gartens. Vom Zustand der Homöostase sind wir in der Stadt leider noch recht weit entfernt.